„Menschen sind auch (nur) Rudeltiere!“

Donna

…oder: Was wir Menschen im Zusammenleben mit Hunden lernen können…

Seit August haben wir wieder eine tierische Mitbewohnerin in unserer Familie aufgenommen. Eine kleine ehemalige Straßenhündin folgt damit unserer lieben Hündin Chiara, die im März 2018 gestorben ist. Eigentlich war mir unser neuer Familienzugang gedanklich eine willkommene Ablenkung von beruflichen Themen: „Es gibt auch noch ein Leben abseits des beruflichen Alltags!“ Wie mir allerdings schnell (wieder) klar wurde kann man im Zusammenleben mit Hunden ganz viel über elementare pädagogische Fragestellungen lernen. Wie bei Hunden geht es auch im Zusammenleben mit kleinen Kindern zunächst um den Aufbau einer stabilen Beziehung, die als Vertrauensbasis jeden weiteren Schritt und jede weitere Entwicklung ermöglicht. Der Zugang zu jungen Kindern ist im Wesentlichen ähnlich jenem zu einem Hund: Beide können mir üblicherweise verbal nicht etwas über sich mitteilen. Also bleibt mir nur der Weg durch Wahrnehmung, Beobachtung und die Interpretation dessen, was ich dabei erfahre, eine Vorstellung davon zu machen, wie das Kind oder eben der Hund seine Umgebung und alles was darin vorkommt, verstehen könnte. Wenn der bekannte deutsche Bildungsforscher Gerd E. Schäfer in ähnlichen (pädagogischen) Zusammenhängen die Frage stellt: „Wie muss ich mir die Situation aus der Sicht des Kindes vorstellen?“ so eignet sich diese Frage in meinem Fall genauso, nur eben auf den Hund bezogen. Und diese Frage führt zu durchaus sehr spannenden Überlegungen! Meine Beobachtungen in den ersten Wochen, die Donna bei uns war, ließen eindeutige Vorstellungen zu: Donna konnte vielen täglichen „Phänomenen“ noch keine Bedeutung zuordnen. Ein Heuballen auf dem Feld, ein Hydrant an der Straßenecke, die Geräusche, die eine Baustelle verursacht – alles war zunächst unbekannt und dadurch unheimlich und beängstigend. Eine Welt voller Dinge und Sinneseindrücke, deren Bedeutung Donna noch nicht kannte. Wenn ich mir das vorstelle kann ich durchaus nachvollziehen, wie gruselig das für sie sein muss. Dass das alles ja gar nicht so gefährlich ist, wie ihr das vorkam wurde zunehmend durch meine Resonanz auf ihre Anzeichen von Angst für sie klar. Resonanz bedeutet in diesem Fall: Ich zeige dir, liebe Donna, mit meiner Gelassenheit in der ich mich dem Hydranten ohne Furcht und Angst nähere, dass das Ding gar nicht gefährlich ist!“ Die verbale Sprache würde uns da nicht weiterbringen, wohl aber eine Körpersprache und eine bestimmte innere Verfasstheit – man könnte es auch Haltung nennen – eine Form der universalen Sprache in der sich Menschen auch über die Grenzen verschiedener Arten hinweg verständigen können. Ich muss mir also auch Gedanken machen, wie meine Resonanz und die nonverbalen Zeichen, die ich Donna gebe, bei ihr ankommen bzw. wie sie diese in ihrem Verständnis einordnet. Verbale Zeichen sind dabei eher irritierend und verwirrend für den Hund. Diesen Prozess der Beobachtung und der Überprüfung, wie ich auf den Hund wirke, bezeichnet man als Reflexion. Unsere Beziehung hat sich auf Basis meiner Bemühungen, mir ein Bild von Donnas „Weltverständnis“ zu machen bereits zu einem tragfähigen System entwickelt. Das Vertrauen zueinander und ineinander wächst damit von Tag zu Tag und Donna überrascht uns nahezu jeden Tag mit Fortschritten in einer Entwicklung hin zu einer Kooperation im Team mit ihrem „Menschenrudel“. Um herauszubekommen was alles in ihr steckt braucht es wieder meine aufmerksame Beobachtung. Was zeigt sie mir von sich aus? Was kann sie alles schon? Hier gilt es anzuknüpfen, hier geschieht lernen! Ressourcenorientierung heißt dieses Prinzip! Ich bin erstaunt wie schnell Donna Dinge lernt, wenn sie dafür positive Bestärkung von mir bekommt, wenn sie erlebt, wie sehr ich mich ehrlich über ihre „Pfote-geben-Nummer“ freue! Und ich bin erstaunt, wie schnell ein Verhalten wieder verschwindet, wenn ich diesem keine Beachtung schenke. Beides kann nur durch unsere wachsende Beziehung zueinander seine Wirkung entfalten, das ist der Unterschied zur Dressur, bei der letztendlich jedes Verhalten durch bestimmte Mechanismen abrufbar ist, unabhängig davon, wer es abruft.

Donna fordert mich auf, meine Wahrnehmung zu sensibilisieren, sie wohlwollend und neugierig zu beobachten und meine Interpretationen dazu auf sie abzustimmen. Sie bietet mir an, mich auf sie einzulassen, sie liefert sich mir aus und schenkt mir dabei Stück für Stück ihr Vertrauen – bedingungslos. Sie aktiviert meinen Blick auf mich selbst, auf mein Befinden, meine Emotionen und Gedanken, sie lädt mich ein zur Selbstreflexion. Sie fordert mich auf weniger mit dem Mund und mehr mit dem Herzen zu sprechen, mir meiner Körpersprache bewusst zu werden. Sie lädt mich ein ruhig und gelassen zu werden um ihr (und mir selbst) damit zu signalisieren: „Hab keine Angst, alles ist gut!“

In der Reflexion meiner Erfahrungen, Beobachtungen und Gedanken, die das Zusammenleben mit Donna mit sich bringt komme ich also zu dem Schluss, dass vieles, was für eine erfüllende Beziehung zwischen mir und meiner Hündin wichtig und wesentlich ist auch für die Beziehungsgestaltung mit Kindern, ja ganz generell mit Menschen gilt. Nicht nur Kinder würden also vom Zusammenleben mit Hunden profitieren, sondern auch ihre Eltern. Voraussetzung dafür ist natürlich die ehrliche Bereitschaft, den Hund als Familienmitglied zu sehen und sich für seine Sicht- und Denkweisen ehrlich zu interessieren, ihn also wahr zu nehmen als eigenständige Persönlichkeit, die er ist und sein Wesen zu respektieren und ihn nicht als „nettes Accessoire“ zu missbrauchen. (Für Kinder gilt das übrigens auch!)

Kein Wunder also, wenn der bekannte österreichische Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal in seinem Buch „Hund und Mensch“ zu dem Fazit kommt und dazu schreibt:

[…] “Ohne die Beziehung zu einem Hund ist der Mensch psychisch nicht vollständig. Und: Hunde sind uns noch ähnlicher als bisher angenommen.“ […]

(Kotrschal K., Hund und Mensch, 2018, Vlg. Brandstätter)

Birgit Ed(ublog)er(in)

Autor: Birgit Eder

Elementarpädagogin, die ursprünglich Verhaltensforscherin werden wollte und durch Zufall beruflich im Kindergarten gelandet ist, wo sie sich seit über 25 Jahren genau richtig fühlt!

Ein Gedanke zu „„Menschen sind auch (nur) Rudeltiere!““

  1. Danke Birgit,
    besser hätte ich die Vorgänge im Inneren unserer Hunde nicht beschreiben können. Ich hoffe, Donna geht es gut nach unserer Zusammenarbeit und sie hat sich komplett eingelebt. Du hast das richtig toll gemacht!
    Ist es nicht unglaublich, wie sehr die Hunde uns ähneln?

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