„Wenn die Pädagogik auf den Hund gekommen ist…“

Kind und Hund
Kind und Hund – ziemlich beste Freunde!

Wie bereits in meinem letzten Beitrag möchte ich auch in diesem Beitrag an mein Leben mit unserer Hündin anknüpfen und von einem Buch berichten, das mir eine liebe Nachbarin gegeben hat. „Hoffnung auf Freundschaft – das erste Jahr des Hundes“ lautet der Titel und die Autoren sind Michael Grewe und Inez Meyer.

Ich habe bereits so einiges an pädagogischer Fachliteratur gelesen, allerdings selten so einen Reichtum an wirklich pädagogisch wertvollen Ansätzen und Gedanken darin gefunden, wie in diesem Buch! Im Vorwort des Buches schreibt die bekannte Ethologin Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen folgendes:

[…] „Das Empordämmern eines versunkenen Winkels aus frühester Kindheit, zum Beispiel in der Langeweile eines hitzeschwangeren Nachmittags; und die zehrende Süße angesichts des unverbrauchten Vorrats an Zeit“ – so benennt der amerikanische Epiker Thomas Wolfe „das Ganze, das Urvertrauen, die Geborgenheit“ wenn er über Kindheit, Zeit und Sinneseindrücke sinniert, über das verlorene Paradies“ der Kindheit. Generell ist das, weniger poetisch ausgedrückt, bei kleinen Hunden ebenso. Das „Kleine Plädoyer für die lange Weile“ beschreibt im neuen Buch von Michael Grewe und Inez Meyer diese entspannte, vertraute Auseinandersetzung des Welpen mit der Umwelt, wenn sich reckend, beobachtend, tastend und riechend Momente des „Nichtstuns“ genossen werden, die mitunter in gezieltes Neugierverhalten oder Spielbewegungen mit dem eigenen Körper oder mit Objekten übergehen können. Sie gehören zum Ruhepol eines Hundes dazu und sind äußerst hilfreich, um mit sich und der Umwelt zurechtzukommen – gerade angesichts der Hektik vieler Hundeleben heute. Langeweile leben ist eben mitnichten Nichtstun. […]

Wäre diese Sichtweise nicht eine, die auf die Situation junger Kinder angewendet werden müsste? Das In-Frage-stellen eines überzogenen Erziehungs- und Förderaktionismus wird in dem vorliegenden Buch an zahlreichen Stellen sichtbar. Immer wieder wird betont, dass Entwicklung und Lernen Zeit und die entsprechenden Gelegenheiten für Erfahrungen (aus erster Hand) benötigen. Hundebesitzer, die ihren kleinen Hund von einem Welpenkurs in den nächsten schleppen, wo ein Training das nächste ablöst, von Agility über Mantrailing, wo Gehorsams- und Unterordnungskurse im täglichen Wechsel einen straffen Terminkalender für den Hund darstellen, sind ebenso Realität wie Eltern, die ihren Kleinkindern bereits vorgeburtlich oder spätestens von Geburt an diverse Förderprogramme „angedeihen“ lassen, um dem Kind nur ja die besten Chancen für den besten Start in ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen. Dass das Beste aus der Sicht der Hundebesitzer, oder eben aus der Sicht der Eltern, nicht immer das Beste für die kleinen Schützlinge – ob Kind oder Hund – ist, stellt sich ebenso in der Realität dar.

„Rezepte sind zum Kochen gut…“ lautet die Überschrift des ersten Kapitels. Weiters ist darin folgendes zu lesen:

[…] Erziehung ist eigentlich ganz einfach – warum aber haben dann so viele Hundebesitzer ihre Mühe und Not damit? Warum lassen sie sich von ihrem kleinen Liebling tyrannisieren? Warum suchen sie Hundetrainer, Verhaltensberater und Hundepsychologen auf? Warum lesen sie jedes neue Buch, das zu diesem Thema auf den Markt kommt? Etwa weil Erziehung ganz einfach ist – und nur der Mensch kompliziert? Erziehung ist wirklich ganz einfach. Aber alles andere als simpel. Der Weg durch die Erziehung ist ein Weg mit unendlich vielen Abzweigungen. Das macht die Sache zwar sehr vielschichtig, aber nicht zwangsläufig undurchsichtig. Und gleich vorab: Erziehung ist kein Rezept, sie kann es gar nicht sein. Rezepte sind zum Kochen gut, in der Erziehung haben sie nichts zu suchen. Hier geht es darum, dass sich der Mensch darüber im Klaren ist, was gerade mit ihm, mit seinem Welpen, mit der Umwelt passiert. Mit ihm und seinen Gefühlen, mit seinem Welpen und dessen Bedürfnissen, mit der Umwelt und deren Anforderungen. […]

Whow!!! Denke ich! Wie viele Pädagog*innen gibt es, die in der Lage sind, den Begriff der Erziehung so klar und dennoch komprimiert auszuformulieren? Und dann setzen die Autoren noch folgendes hinzu – sozusagen als I-Tüpfelchen auf diese Gedankenfolge:

[…] Um eine klare Linie in der Erziehung zu verfolgen, bedarf es weder rigider Kommandos noch der immer wieder allseits gepriesenen „Konsequenz“. Aber es bedarf des Nachdenkens, der Infragestellung eigener Gewohnheiten, emotionaler Bedürfnisse und Ansprüche, es bedarf des genauen Hinschauens. […]

Tatsächlich habe ich dieses Buch geradezu verschlungen und nicht mehr aus der Hand gelegt, bis es zu Ende gelesen war. Und immer wieder ergaben sich im Nachvollzug des Geschriebenen Querverbindungen zu pädagogischen Theorien und zur Praxis. Es ist schon ziemlich schräg, wenn ich seither im Kreise von Kolleg*innen immer wieder davon berichte, dass das Buch von Grewe / Meyer eines der wichtigsten Exemplare in meiner persönlichen Fachbibliothek darstellt.

Birgit Ed(ublog)er(in)

Literaturquelle: Grewe M., Meyer I., Hoffnung auf Freundschaft, 2012, Franckh-Kosmos Verlags GmbH; ISBN 978-3-440-12762-9

Autor: Birgit Eder

Elementarpädagogin, die ursprünglich Verhaltensforscherin werden wollte und durch Zufall beruflich im Kindergarten gelandet ist, wo sie sich seit über 25 Jahren genau richtig fühlt!

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