Neulich stellte eine Lehrerin ein Programm vor, das sie in ihrer Volksschulklasse zum „Üben der Empathiefähigkeit“ einsetzt. Es geht dabei um die Empathiefähigkeit der Kinder, nicht der der Lehrer/innen, sei dazu vielleicht ergänzend noch angemerkt! Bei regelmäßiger wöchentlicher Anwendung dieses Programms nach Vorschrift, so die Lehrerin, sei die positive Wirkung und damit der Erfolg erstaunlich. Zudem gebe es die angenehme Nebenwirkung, dass Lehrer/innen mit diesem Programm in die Lage versetzt würden, „bindungsorientiert“ zu arbeiten – was immer das auch heißen mag!?
Als ich diesen Ausführungen zuhörte, formten sich zahlreiche Fragezeichen in meinem Kopf. Der Wunsch nach Rezepten, die eine Anleitung zum erfolgreichen pädagogischen Handeln liefern, ist mir aus dem pädagogischen Umfeld nur allzu gut bekannt. Um wie vieles einfacher wäre unsere Arbeit doch nur, wenn wir für die mannigfaltigen Probleme, die sich täglich vor uns auftun, wirksame Gebrauchsanweisungen hätten! Wie in allen Lebensbereichen fährt die Ratgeberindustrie natürlich gerade auch im pädagogischen Feld satte Profite ein, mit zahlreichen Programmen zur Förderung von diesem und jenem Entwicklungsdefizit, zum Training von erwünschtem Verhalten oder ganz allgemein zur Steigerung der Leistungsbereitschaft und des Leistungsvermögens bei Kindern. All die unterschiedlichen Programme, Rezepte und Gebrauchsanweisungen für Kinder teilen sich meist einige gemeinsame Merkmale: Sie sind von Jedermann und Jederfrau für gutes Geld im Handel erwerbbar, ihre „Aufmachung“ ist meist smart und ansprechend, verpackt in hübschen Schachteln oder gebunden in schicker Buchform und immer häufiger auch im Internet zu finden. Bei richtiger Anwendung versprechen sie garantierten Erfolg und das zumeist in rasantem Tempo. Die Komplexität menschlicher Lebensumstände und die darin liegende Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit derselben scheint für die Anwendung bzw. den prognostizierten Erfolg gar keine Rolle zu spielen. Würde das nämlich der Fall sein, so würde sich das kauftaugliche Zielpublikum massiv einschränken.
Menschen mit Erfahrung und pädagogischer Kompetenz wissen, dass sie sich in ihrem beruflichen Tun besser nicht auf Rezepte verlassen sollten. Sie wissen, dass Pädagogik sich in erster Linie aus dem Zusammenspiel menschlicher Beziehungen gestaltet, die im professionellen Verständnis einem ständigen Reflexionsprozess unterzogen werden müssen. Nur aus diesem Zusammenspiel von (Beziehungs)Erfahrungen und Reflexion können Erkenntnisse generiert werden, die uns in unseren Handlungen und in unseren Kooperationen weiter bringen. Wir können unsere persönliche Verantwortung und unsere persönlichen Anteile in pädagogischen Prozessen also nicht einfach an Programme, Trainings und Rezepte abgeben! Wir sind hier immer auch als Person gemeint, zuständig für Beziehungen und die Resonanzen in diesen. In dieser Betrachtungsweise wird schnell klar, dass wir und die Menschen, mit denen wir in unseren beruflichen Zusammenhängen zu tun haben (Kinder als auch Eltern und Kolleginnen/Kollegen), die „Erfinder“ unserer eigenen Handlungskonzepte sind und sein müssen. Handlungskonzepte, die die jeweilige Individualität der Situationen und der Personen berücksichtigen, Handlungskonzepte, die unsere Beziehungen in den Blick nehmen, Handlungskonzepte, deren Entwicklung alleine schon ein wichtiger Teil des Ganzen darstellt, weil gemeinsame Entwicklungsprozesse die Beteiligung und das Einverständnis aller voraussetzen und gleichzeitig sicher stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst euch also durch schön verpackte Wunderprogramme nicht zu Nebendarstellern eurer eigenen Zunft machen! Lasst die vielen auf dem freien Markt zu kaufenden Methoden und Materialien nicht eure Geldtaschen leeren. Lasst euch und die euch anvertrauten Kinder nicht von Förderprogrammen durch das Leben dirigieren sondern nehmt den Dirigierstab selbst in die Hand. Nichts ist unkreativer, als sich den Fragen und mitunter den Problemstellungen des Lebens nur mit Anleitungen zu nähern! Kreiert eure eigenen Antworten und Lösungen! Und selbst wenn wir es aus der Schule anders kennen: Glaubt nicht, dass man Themen wie soziale Beziehungen, Empathie oder Ethik in Schulfächer verpacken könnte! Der Philosoph Richard David Precht meinte einmal in einem Interview: „Sobald etwas in ein Schulfach verpackt wird, ist es eigentlich schon tot.“ Man kann also die Grundthemen des menschlichen Zusammenlebens nicht unterrichten oder in Stufenprogrammen trainieren. Man kann diese Themen aber leben – und zwar jeden Tag – im „echten Leben“!
In diesem Sinne wünsche ich Euch viel Freude an einer lebendigen und gelebten Elementarpädagogik!
Birgit Ed(ublog)er(in)